Gemeinsame Stellungnahme der Landesumweltschaften Österreichs an Herrn BM Mag. Jörg Leichtfried und Herrn Bundeskanzler Mag. Christian Kern vom 9. September 2017:

 

 

Sehr geehrter Herr Bundesminister, sehr geehrte Damen und Herren!

Seit längerer Zeit ist nun bekannt, dass der Volkswagen-Konzern Dieselfahrzeuge derart manipuliert hat, dass sie nur auf dem Prüfstand die vorgeschriebenen Abgaswerte einhalten, nicht aber im realen Fahrbetrieb. Vielmehr werden die Stickstoffoxidwerte im „Echtbetrieb“ im Durchschnitt um das Siebenfache überschritten. Wie viele andere HerstellerInnen die Abgaswerte manipuliert haben, ist bis dato unklar. In Österreich sind Hunderttausende dieser Fahrzeuge mit gezielt irreführender Software unterwegs, weltweit viele Millionen.

 

Einige Auswirkungen dieser rücksichtslosen Abgaspolitik der Automobilkonzerne: Gezielte Irreführung der KonsumentInnen durch Täuschung über zugesicherte Eigenschaften samt den damit verbundenen Vermögensschäden für die/den Einzelne/n (Wertminderung der Fahrzeuge, drohende Fahrverbote); massive Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung - laut „Air Quality Report 2015“ der Europäischen Umweltagentur sterben in Österreich jährlich 7.000 Menschen (!) nur aufgrund der Stickstoffoxidbelastung; eminente Folgekosten für die Volkswirtschaft - die Höhe der externen Gesundheitskosten, die der Gesellschaft durch die Luftverschmutzung entstehen, werden in der EU auf bis zu 940 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt; mögliche Folgekosten für Ö im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens wegen überhöhter Stickstoffoxidwerte - wegen der Überschreitungen der Grenzwerte in vielen Gebieten hat die Europäische Kommission Österreich bereits mit einer Verurteilung samt erwartbarer Geldstrafe in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags gedroht; Rechtsunsicherheit für ProjektwerberInnen, weil die Luftbelastungsprognosen etwa in Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren massiv zu hinterfragen sind; usw.

 

Daraus folgt: Die dem öffentlichen Haushalt erwachsenden Kosten sind zu einem guten Teil von den AutomobilherstellerInnen mitverursacht. Der Republik Österreich entsteht ein enormer Schaden, der in Geld bewertet werden kann. Kurz und knapp: Müssen nicht die VerursacherInnen dafür aufkommen, so haben die SteuerzahlerInnen dafür gerade zu stehen. Und genau das ist das Thema, bei dem ein Höchstmaß an Konsequenz gezeigt werden muss. Nicht minder wichtig, aber „andere Baustellen“ sind die zu bearbeitenden Themen „Mobilität in Zukunft – mit oder ohne Verbrennungsmotor?“ bzw. „Ökologische Sinnhaftigkeit der Attraktivierung des Umstiegs von Dieselautos (EURO 4 und älter) auf z. B. E-Autos?“.

 

Wo also gilt es, größtmögliche Konsequenz zu zeigen?

Die Republik Österreich sollte sich mit ihren Schadenersatzforderungen (Schäden für das Gesundheitssystem, Feststellung der Haftung für Strafen aus Vertragsverletzungsverfahren, Kosten für weiterführende Maßnahmen zur Einhaltung von Stickoxidgrenzwerten) einem allfälligen Strafverfahren als Privatbeteiligte anschließen. Laut Medienberichten wird ja seitens der Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft zumindest gegen den VW-Konzern wegen Betruges ermittelt. Sollten keine Strafverfahren eingeleitet werden, so wären seitens der Republik die Kosten im Wege des zivilrechtlichen Schadenersatzes einzuklagen. Zusätzlich sollte die Bundesregierung die Bundeswettbewerbsbehörde darin bestärken, gegen manipulierende AutomobilherstellerInnen nach dem Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu ermitteln und negative Folgen für heimische Zulieferbetriebe und KonsumentInnen zu prüfen. Auch sind mögliche finanzrechtliche Folgen (Bemessung der NOVA) genau zu untersuchen.

 

 

Was ist sonst noch zwingend zu veranlassen?

Jedenfalls ist die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Abgaswerte im realen Fahrbetrieb auf der Straße umfassend sicherzustellen: Prüfmechanismen zur einfachen Feststellung, ob manipulierte Software verwendet wird, sind normativ zu etablieren, so wie auch Messmethoden zur Bestimmung von Betriebsemissionen von Fahrzeugen und zur Festlegung von Beurteilungswerten. Der neue Prüfzyklus „WLTC“ macht ja Hoffnung. Auch ist gesetzlich eine Bestimmung zu normieren, die es ermöglicht, hochemittierende Fahrzeuge sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Und auch die Einführung eines Straftatbestands im Strafgesetzbuch (StGB) ist zu überprüfen.

 

Nachträgliche Manipulationen sind abzustellen.

In diesem Zusammenhang muss auch die Problematik von nachträglichen Manipulationen (Entfernen/Durchlöchern von Dieselpartikelfiltern und/oder Ausschalten derselben mittels Software) endlich effektiv angegangen werden. Dazu sollte im KFG eine Strafnorm etabliert werden, wonach bereits das Inverkehrbringen bzw. Anbieten von Abschalteinrichtungen („Chiptuning“) oder das Deaktivieren von Partikelfiltern bzw. Abgasnachbehandlungssystemen ausdrücklich unter Strafe gestellt und mit Maßnahmen wie etwa dem Entzug der Berechtigung nach § 57a KFG („Pickerl“) bedroht wird.

 

Lobbying auf EU-Ebene hat zu erfolgen.

Es ist darauf zu drängen, dass die EU selbst ihre Luftqualitäts-Richtlinie ernst nimmt und alles daran setzt, die Emissionen im „Echtbetrieb“ effektiv zu vermindern. Derzeit nimmt sie sich selbst, die Umwelt und die EU-BürgerInnen nicht ernst, indem sie mit sogenannten „Konformitätsfaktoren“ hantiert, also Mehrfachüberschreitungen von Abgaswerten und somit krasses Fehlverhalten der AutomobilherstellerInnen beschönigt.

 

Unterstützung der KonsumentInnen ist gefragt!

Sehr geehrter Herr Minister Leichtfried, Sie selbst haben im Fernsehen von „Betrug“ gesprochen. Und somit sollte es glasklar sein: Die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sind – auch im Sinne der Generalprävention – zum Wohle der Republik Österreich und ihrer Bürgerinnen und Bürger vollends auszuschöpfen. Völlig unlauter wäre es jetzt, den zumeist gutgläubigen DieselfahrerInnen den „schwarzen Peter“ zuzuspielen. Stattdessen gilt es, auf europäischer Ebene die Bestrebungen, die Möglichkeit von EU-weiten Sammelklagen einzuführen, massiv zu verstärken. Derzeit besteht für den/die betroffene/n DieselfahrerIn nur die Möglichkeit, sich über den Verein für Konsumenteninformation (VKI) einem Strafverfahren als Privatbeteiligte/r anzuschließen. Erstens: Die Politik sollte intensiv auf diese Möglichkeit hinweisen. Zweitens: Die Republik sollte die damit verbundenen Kosten (< 100 Euro pro Fall) tragen. Das wäre ein wichtiges Zeichen der Unterstützung!

 

Aus der konsequenten Umsetzung des bisher Ausgeführten ergäbe sich eine sehr vorteilhafte Verhandlungsbasis. Auf ebendieser sollten sich die AutomobilherstellerInnen dann in der Folge mit dem ihnen zukommenden Maß an Demut darum bemühen, Termine für allfällige Verhandlungen bei Ihnen zu bekommen, Herr Minister!

 

Anmerkungen zu den „Gipfel“-Ergebnissen

Kursorisch sei zu den kolportierten „Gipfel“-Ergebnissen noch ausgeführt: Jede Art von seitens der Automobilindustrie angebotenen „Prämien“ für den Umstieg auf einen Neuwagen ist sehr kritisch daraufhin zu prüfen, ob sie nicht nur der Ankurbelung des Neuwagenabsatzes dient, also de facto ein Konjunkturpaket darstellt, welches die ManipulatorInnen noch für ihr Fehlverhalten belohnt. Die damit provozierten Lerneffekte für die Zukunft wären fatal. Aus ökologischer Sicht machen nämlich die indirekten Emissionen, die während der Autoproduktion entstehen, oftmals weit über die Hälfte der Schadstoffe aus, die ein Wagen während seiner Laufzeit verursacht. Es hat also eine sehr besonnene Abwägung zu erfolgen, um der Umwelt keinen „Bärendienst“ zu erweisen.

 

Erwartungen an die Autoindustrie

Im Sinne eines – ohnedies sehr spät kommenden - „fair play“ nun unser Vorschlag an die Autoindustrie: Jeder/Jedem betroffenen Konsumentin/Konsumenten, die/der sich in die Werkstatt bemüht, sollte dafür als Aufwandsentschädigung ein relevanter Geldbetrag bezahlt werden. Dort ist ihr/sein Fahrzeug mit effektiven Filtern (Hardware-Änderungen!) nachzurüsten. Genau das steht den Menschen und der Umwelt nämlich zu!

 

Software-Updates, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Probleme und wenig Nutzen bringen werden, sind abzulehnen, weil ineffektiv und ineffizient. Hardware-Änderungen sind sehr wohl technisch machbar (siehe USA), auch wenn massiv versucht wird, dies in Abrede zu stellen. Dieses Vorgehen kostet zweifelsohne Geld und wird die Unternehmensgewinne zum Teil abschmelzen. Doch es hat jedenfalls das Verursacherprinzip zu gelten: Die Allgemeinheit kann keine Rücksicht auf Aufwand nehmen, der durch die erforderlichen Umbauten entsteht – es handelt sich um eine notwendige Mangelbehebung.

 

Bei Interesse können Sie die Gemeinsame Stellungnahme hier als Datei im Format .pdf downloaden.